Auf dem Foto: 3 Mädchen aus Brieselang auf der Suche nach Erinnerungsorten
© BildungsBausteine e.V.

"Verknüpfungen" in Brieselang

Bericht von den Projekttagen im Juli 2017


Zum dritten Mal seit 2015 besuchten drei Teamer_innen der BildungsBausteine e.V. im Juli 207 die Hans-Klakow-Oberschule in Brieselang. Die ca. 11.000 Einwohner_innen starke Gemeinde liegt 30 km westlich von Berlin im Brandenburgischen Landkreis Havelland, im sogenannten Speckgürtel der Hauptstadt. Doch auch wenn dieser Begriff suggeriert, dass dort vor allem wohlhabende Leute wohnen, die in Berlin mehr oder weniger gutbezahlten Jobs nachgehen, so trifft dies bei Weitem nicht auf alle Einwohner_innen zu. So gibt es auch hier Jugendliche aus sozioökomisch weniger gut situierten Familien, deren Zugänge zu (formaler) Bildung durch vielfältige Barrieren erschwert sind. Die Hans-Klakow-Oberschule bemüht sich noch Kräften, ihren Schüler_innen dennoch gute Zukunftschancen zu ermöglichen, indem sie sie unter dem Motto „Kein Abschluss ohne Anschluss“ sehr bei der Berufsorientierung und dem Einstieg in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt unterstützt.

Gleichzeitig engagiert sich die Schule auch im Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ und war vor diesem Hintergrund von Anfang an sehr an einer Beteiligung am „Verknüpfungen“-Projekt der BildungsBausteine interessiert. Denn auch im Landkreis Havelland sind in den letzten Jahren Rechtspopulismus und Rassismus immer stärker geworden. Auch dort war die rechtspopulistische AfD die Hauptgewinnerin der Landtagswahlen 2014; bei der Bundestagswahl 2017 wurde sie zweitstärkste Kraft. Und ähnlich wie in diversen anderen Regionen machten in Brieselang NPD-nahe Kreise mit dem Slogan „NEIN ZUM HEIM in Brieselang – GEGEN DIE Willkommenskultur“ im Internet und auf der Straße mobil, als sich die Gemeinde im Spätsommer 2015 in der Pflicht sah, nach dem neonazistischen Brandanschlag auf die Notunterkunft im nahe gelegenen Nauen selbst Geflüchtete unterzubringen. Eine Entwicklung, die selbstverständlich vor den dort lebenden Jugendlichen nicht Halt macht – und gleichzeitig ein Grund mehr für die Brieselanger Oberschule, durch die Zusammenarbeit mit den BildungsBausteinen eine Willkommenskultur an der Schule zu befördern und für ihre neu zugezogenen Schüler_innen und Nachbar_innen ein angenehmes Lern- und Lebensumfeld zu schaffen.

Dieses Klima galt es in diesem Jahr weiter zu stärken. Vom 10. bis 18. Juli arbeiteten deshalb die drei politischen Bildner_innen des Vereins mit 23 Schüler_innen der beiden 9. Klassen zu den Themen Antisemitismus, Rassismus sowie zu anderen Ideologien der Ungleichwertigkeit. Da eine der beiden Klassen eine Inklusionsklasse ist, war hier unter anderem auch Ableism (Behindertenfeindlichkeit) ein Thema. In den ersten vier der insgesamt sieben Projekttagen setzen sich die Jugendlichen mit verschiedenen historischen und aktuellen Formen des Antisemitismus und Rassismus – insbesondere mit Erinnerungskulturen an deutsche Genozide – auseinander, diskutierten über deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie Handlungsmöglichkeiten gegen diskriminierende Äußerungen und Praxen und versuchten, sich in die Lage von Betroffenen (bzw. deren Nachkommen) zu versetzen. Denn die Förderung von Empathie kann an dieser „Verknüpfungen“-Partner_innenschule als eine besondere Herausforderung und Notwendigkeit betrachtet werden, da die meisten Schüler_innen keine eigenen Erfahrungen mit rassistischer oder antisemitischer Ausgrenzung machen müssen. Hinzu kommt, dass solche Erfahrungen vonseiten der weißen Jugendlichen häufig marginalisiert und in ihrer individuellen und gesellschaftlichen Tragweite nicht erkannt werden.

Von den Teamer_innen angeleitet, setzten sich die Schüler_innen auf methodisch vielfältige Art und Weise mit unterschiedlichen Aspekten des Themenfelds auseinander: Sie beschäftigten sich mit den Fotos und Geschichten von Menschen, die von Antisemitismus und verschiedenen Rassismen betroffen sind und die sich dagegen engagieren, reflektierten über Identität und Deutschsein, erfuhren (meist zum allerersten Mal) von den deutschen Kolonialverbrechen und deren Auswirkungen bis in die Gegenwart, spielten thematische Memories und Quizze, recherchierten selbst Fakten zum Thema im Internet, diskutierten anhand des Kurzfilms „So, Li, Da, Ri, Ty“ über Möglichkeiten der Gegenwehr gegen Antisemitismus und Rassismus, und noch vieles andere mehr.

In den letzten drei Projekttagen stand dann die medienpädagogische Arbeit im Vordergrund: In drei Kleingruppen lernten die Schüler_innen, Skripte für einen Kurzfilm zu entwickeln. Sie machten sich mit Ton- und Kameratechnik sowie einem Schnittprogramm vertraut und produzierten dann eigene Videos zum Thema. Herausgekommen sind dabei drei Filme, die sich auf unterschiedliche Weise dem Themenkomplex annähern. Die Jugendlichen gingen im benachbarten Falkensee auf die Suche nach Erinnerungsorten an die Shoah, führten Interviews mit der jüdischen Schwester einer Teilnehmerin und mit einem Mann, der aus der ehemaligen deutschen Kolonie Kamerun nach Brandenburg geflüchtet ist, und sie bereiteten in den Projekttagen gesammelte Erkenntnisse für andere Jugendliche und Erwachsene auf. Die Teamer_innen standen ihnen in diesem Prozess bei allen inhaltlichen und gestalterischen Fragen zur Seite. Nach Ideenfindung, Skripterstellung, Dreh und Schnitt hielten die Schüler_innen am letzten Tag fertige, selbst konzipierte und realisierte Medienprodukte in den Händen, die sie vor der gesamten Schüler_innen- und Lehrer_innenschaft sowie anschließend im Internet präsentieren konnten – für viele der Schüler_innen ein großes Erfolgserlebnis!

Doch auch inhaltlich brachten die Projekttage vor allem den herkunftsdeutschen Jugendlichen viele „Aha-Momente“, die selbstreflexive Prozesse in Gang setzten. Die Schüler_innen mit eigenen Rassismuserfahrungen wiederum erfuhren viel Empowerment; sie waren froh darüber, dass ihre Themen und Erlebnisse endlich einmal Raum bekamen. Wir hoffen, dass alle Beteiligten noch lange von diesen Erfahrungen profitieren können – und kommen sehr gerne auch im nächsten Jahr wieder nach Brieselang!

Der F.C. Flick Stiftung danken wir ganz herzlich dafür, dass sie durch ihre Förderung diese Projekttage möglich gemacht hat!

Zwei der Filme der Jugendlichen können Sie hier anschauen.